Unsere Geschichte

Der Beginn der langen und einzigartigen Chortradition liegt mehr als 800 Jahre zurück. Ausgehend von den Augustiner-Chorherren im Jahr 1212 hat der Chor bis heute nicht nur gesellschaftliche Veränderungen und Umbrüche erlebt, sondern war – und ist auch heute – als hochgeschätzter und einer der ältesten Chöre der Welt bei wichtigen gesellschaftlichen Ereignissen und in der Öffentlichkeit präsent.

1212 – Gründung Stift der Augustiner-Chorherren mit Klosterschule

Im Jahre 1212 – Leipzig besaß erst kurze Zeit das Stadt- und Marktrecht – wurde durch einen Erlass des Markgrafen Dietrich von Meißen ein Stift der regulierten Augustiner-Chorherren gegründet. Mit dem Bau der dem Apostel Thomas gewidmeten Kirche wurde zeitgleich eine Schule errichtet. Sie stand als „schola exterior“ von Beginn an Leipziger Bürgerkindern offen und gilt daher als Deutschlands älteste öffentliche Schule. Im Gegenzug für freie Kost und Logis hatten die Knaben und jungen Männer den liturgischen Gesang und gottesdienstliche Aufgaben zu verrichten. Musik, vor allem die „musica sacra“, besaß im mittelalterlichen Bildungskanon einen sehr hohen Stellenwert. In ihr sah man die göttliche Ordnung widergespiegelt. Über die gottesdienstlichen Aufgaben in den Leipziger Stadtkirchen hinaus hatten die Choristen von Anfang an auch das Privileg und die Verpflichtung, bei zahlreichen Kasualien wie Taufen, Hochzeiten, Begräbnissen sowie Rats- und Universitätsfeiern zu singen. Und sie konnten sich an der Thomasschule auf eine gute Schulbildung verlassen, die zu einem Universitätszugang führen konnte.

Otto IV. besiegelte am 20. März 1212 die Stiftungsurkunde des Augustiner-Chorherrenstifts zu St. Thomas.


um 1300 I Das Sankt-Thomas-Graduale

Bedeutendstes Zeugnis für das musikalische Schaffen der Chorknaben vor der Reformation stellt wohl das Sankt-Thomas-Graduale (um 1300) dar. Dabei handelt es sich um einen Kodex mittelalterlicher Choralhandschriften, der eine Zusammenstellung von 88 Sequenzen sowie sämtliche Gesänge für die Hochämter beinhaltet. Die Handschrift, die vermutlich im Thomaskloster entstand, war nachweislich mindestens zweihundert Jahre in Gebrauch. Mit einem neuen Einband kam 1533 auch ein Kompendium der Musiklehre dazu. Es gibt Aufschluss darüber, welche Anforderungen an die Chorschüler gestellt wurden.


Mitte des 14. Jh. I Dienste in der Thomas- und Nikolaikirche

Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts ist durch Stiftungsurkunden für Messen und Altäre, die explizit die Mitwirkung von Chorschülern verlangen, bezeugt, dass die Thomaner nicht nur in St. Thomas sangen, sondern auch Dienste in der Nikolaikirche versahen. Neben dem Singen des gregorianischen Chorals im Alltag, sowie zu festlichen Prozessionen und kirchlichen Amtshandlungen, kam auch der Figuralmusik wachsende Bedeutung zu. Seit 1479 unterhielt der Rat der Stadt ein Ensemble aus Stadtpfeifern, die bei Festgottesdiensten gemeinsam mit den Thomanern musizierten.


1519 I Leipziger Disputation

Unter Leitung des von 1519 bis 1520 amtierenden Thomaskantors Georg Rhau eröffneten die Thomaner am 27. Juni 1519 mit einem Gottesdienst in der Thomaskirche die Leipziger Disputation, das akademische Streitgespräch  zwischen dem Ingolstädter Theologieprofessor Johannes Eck als Herausforderer und den Wittenberger Theologieprofessoren Andreas Bodenstein (genannt Karlstadt) sowie Martin Luther als Verteidigern. Dabei kam die zwölfstimmige „Missa de sancto spiritu“ zur Aufführung, die vermutlich aus Rhaus Feder stammt. Die Disputation wurde in der Pleißenburg abgehalten, nachdem der Chor dort die Motette „Veni, sancte spiritus“ sang. Zur Abschlussfeier der Gespräche am 15. Juli ließ Rhau die Knaben (unter Mitwirkung der Leipziger Stadtpfeifer) ein „Te Deum laudamus“ vortragen. Keines der Werke ist erhalten.


1539 bis 1543 – Reformation und Säkularisation

Nach dem Tod Herzog Georgs übernahm sein Bruder Heinrich die Regierungsgeschäfte und veranlasste 1539 die Einführung der Reformation im Herzogtum. Aus diesem Anlass predigte Martin Luther am Pfingstsonntag von der Kanzel der Thomaskirche. Mit der Verbreitung der neuen Lehre begann die Säkularisation der Klöster. Sämtliche Besitztümer des Thomasstifts gingen an die Stadt über. Die Chorherren, die noch nicht aus der Stadt geflohen waren, wurden vom Rat mit einer Rente abgefunden und verließen das Kloster 1543. In diesem Jahr begann der Rückbau der Stiftsgebäude. Mit der Säkularisation ging auch die Schule sowie das Alumnat in die Verwaltung durch den Rat der Stadt über. Damit ist der Thomanerchor die älteste kulturelle Einrichtung der Stadt Leipzig.


nach der Reformation I Repertoireerweiterung

Nach der Reformation veränderte sich das Tätigkeitsfeld für die Chorschüler nicht. Ebenso wie zuvor sangen sie bei ordentlichen Gottesdiensten sowie bei Kasualien (Trauungen, Taufen und Begräbnissen). Das Repertoire ist durch Eigenkompositionen der Thomaskantoren sowie durch Abschriften und Ankäufe von Notendrucken gewachsen und verhältnismäßig gut dokumentiert. Ulrich Lange (Thomaskantor von 1540 bis 1549) beispielsweise kaufte Sammelbände der Werke von Josquin Desprez, Jacob Obrecht, Heinrich Isaac und Adrian Willaert u. a. Seine Nachfolger ergänzten die Bestände durch Werke von Orlando di Lasso. Bemerkenswert ist eine Sammelhandschrift, die zwischen 1553 und 1560 entstand. Sie enthält zahlreiche Messen, Motetten und Hymnen von verschiedenen Komponisten, die meist nicht benannt sind. Musikwissenschaftler identifizierten einige der Werke als Schöpfungen von Musikern wie Ludwig Senfl, Josquin Desprez, Johann Walter, Heinrich Isaac, Thomas Stoltzer u. a.


1546 – 1553 I Neubau der Thomasschule

Teile eines einstürzenden Turmes der Stadtbefestigung beschädigten 1546 die Thomasschule. Stadtverwaltung und Kirchenleitung ließen das alte Gebäude 1553 abbrechen und einen Neubau errichteten. Dies geschah unter großer Mithilfe der Leipziger Bürgerschaft, die sich durch Spenden oder Arbeitskraft einbrachten. In diesem neuen Gebäude hatten neben den Unterrichtsräumen auch die Stuben der Alumnen sowie die Wohnung für Rektor und Kantor Platz


1648 I Heinrich Schütz widmet den Thomanern seine Motettensammlung „Geistliche Chor-Music“

Der deutsche Komponist Heinrich Schütz stellte im Jahr 1648 zum Ende des Dreißigjährigen Kriegs eine Sammlung von 29 Motetten, seine „Geistliche Chor-Music“  zusammen, die sowohl frühere als auch neue Kompositionen enthält. Sie wurde 1648 in Dresden als sein Opus 11 gedruckt und enthält Sätze für fünf bis sieben Stimmen, denen die Nummern 369 bis 397 im Schütz-Werke-Verzeichnis zugeordnet sind.

Schütz widmete die Sammlung Leipzig, wobei er im Widmungsschreiben, datiert „Dreßden, am 21. April 1648“, den Bürgermeister und Rat adressierte und den Chor hervorhob, der heute als Thomanerchor bekannt ist. Es ist das erste Werk, das er nicht Hof oder Adel widmete.

Titelblatt der Motettensammlung „Geistliche Chor-Music“


1723 – 1750 I Thomaskantor Johann Sebastian Bach

Durch den Tod Johann Kuhnaus am 5. Juni 1722 wurde die Stelle des Thomaskantors frei. Nach einem ersten Probespiel am 14. Juli wurde von Georg Philipp Telemann als Nachfolger Kuhnaus gewählt. Da Telemann auf Grund einer Gehaltserhöhung in Hamburg blieb, wurde eine zweite Kantoratsprobe anberaumt, bei der neben Johann Sebastian Bach Georg Friedrich Kauffmann aus Merseburg, der freiwillig zurücktrat, Christoph Graupner (Kapellmeister in Darmstadt) und Georg Balthasar Schott (Organist an der Neuen Kirche in Leipzig) kandidierten. Bach führte am 7. Februar 1723 als Probestück die Kantaten „Jesus nahm zu sich die Zwölfe“, BWV 22, und „Du wahrer Gott und Davids Sohn“, BWV 23, auf. Gewählt wurde Graupner, der aber ablehnen musste, weil ihm vom hessischen Landgrafen die Entlassung verweigert wurde. Somit wurde Bach „als dritte Wahl“ am 22. April 1723 vom Leipziger Ratskollegium zum Thomaskantor ernannt.

Im Jahr 1723 übersiedelte Bach mit seiner Frau und vier seiner Kinder nach Leipzig. Mit einer Amtseinführung am 30. Mai 1723 in der Nikolaikirche nahm Bach seinen Dienst in Leipzig als Thomaskantor auf; er sollte diese Stelle bis zu seinem Tod 1750 behalten. Als Kantor und Musikdirektor war er für die Musik in vier Kirchen der Stadt verantwortlich, für die beiden Hauptkirchen St. Thomas und St. Nikolai sowie für die Peterskirche und die Neue Kirche. Dazu zählte die Vorbereitung einer Kantatenaufführung an allen Sonn- und Feiertagen im Wechsel an den beiden Hauptkirchen. Außerdem oblag ihm der Musikunterricht in der Thomasschule. Die Internatsschüler waren verpflichtet, als Chorsänger die Gottesdienste mitzugestalten. Sein Deputat als Lateinlehrer, das mit seiner Stelle traditionell verbunden war, übertrug er gegen eine Geldzahlung an Siegmund Friedrich Dresig, den Konrektor der Schule.

Gleich nach seiner Ankunft fing Bach an, die notwendigen Kantaten zu komponieren oder zu überarbeiten. Bei dieser systematischen Arbeit muss Bach in den ersten beiden Jahren im Schnitt ungefähr ein Werk pro Woche geschaffen haben, danach verlangsamte er das Tempo. Insgesamt sind zwei vollständige Jahrgänge überliefert, der Nekrolog berichtet von drei weiteren. Hinzu kamen Aufträge für Kantaten zu Hochzeiten, Taufen und Begräbnissen.

Für Weihnachten 1723 schrieb Bach die zweite Fassung des Magnificat in Es-Dur mit den weihnachtlichen Einlagesätzen, für den Karfreitag 1724 sein bis dahin umfassendstes Werk, die Johannespassion, für Weihnachten 1724 ein Sanctus. Wohl Anfang 1725 begegnete Bach dem Textdichter Christian Friedrich Henrici alias Picander, der schließlich den Text für die Matthäuspassion lieferte, die 1727 oder 1729 uraufgeführt wurde. Die Aufführungsbedingungen hatten sich in diesen ersten Leipziger Jahren insgesamt verschlechtert. Bach sah sich daher gezwungen, in einer Eingabe an den Rat der Stadt Leipzig vom 23. August 1730 seine Vorstellungen von der vokalen und instrumentalen Ausstattung einer „wohlbestallten Kirchen Music“ zu dokumentieren. Dieser „höchstnöthige Entwurff“ ist heute eine wichtige Quelle für die historische Aufführungspraxis seiner Werke. Bach bemühte sich in dieser Zeit, den Titel eines Hofkompositeurs in Dresden zugesprochen zu bekommen, da er unzufrieden war mit der Bezahlung, den hohen Lebenshaltungskosten und der Leipziger Obrigkeit, von der er sich mehr Förderung wünschte.

Etliche seiner Huldigungskantaten arbeitete Bach kurz nach ihrer Entstehung in geistliche Werke um. Diesem Parodieverfahren ist das Weihnachtsoratorium von 1734/1735 zu verdanken, das Himmelfahrtsoratorium von 1735 und das Osteroratorium. Durch Parodierung geistlicher Kantaten entstanden die sogenannten Lutherischen Messen, ebenso 1733 die zweisätzige Urfassung der h-Moll-Messe. Nach Einreichung dieses Werkes beim kurfürstlichen Hof in Dresden erhielt Bach nach dreijährigem Warten am 19. November 1736 die ersehnte Nachricht, sich „königlich polnischer und kurfürstlich sächsischer Compositeur bey Dero Hoff-Capelle“ nennen zu dürfen Der Titel war weder mit Privilegien noch mit Einkünften verbunden, stärkte jedoch seine Position gegenüber den Leipziger Autoritäten. Bach bedankte sich mit einem zweistündigen Konzert auf der 1736 fertiggestellten Silbermannorgel der Frauenkirche Dresden für die Ernennung.

 

Viele herausragende Musiker haben in der Vergangenheit als Thomaskantor die Entwicklung des Chores beeinflusst und gaben entscheidende Impulse für die protestantische Kirchenmusik. Das 27-jährige Thomaskantorat von Johann Sebastian Bach verschaffte dem THOMANERCHOR Leipzig jedoch unbestritten die nachhaltigste Prägung in seiner Geschichte.

Zu Lebzeiten Bachs bestand der Chor aus rund 55 Schülern, die auf vier Chöre verteilt gemeinsam mit den Stadtpfeifern und einigen Kunstgeigern. Die Altersstruktur der Thomaner entsprach zu Bachs Zeit eher einem Jugendchor. Bei ihrer Bewerbung um ein Alumnat waren die Knaben in der Regel 13 bis 14 Jahre alt. Neben den Gesangspartien wirkten die Schüler auch als Streicher mit. Laut Bachs schriftlicher Eingabe an den Rat wurde „die 2de Violin meistens, Viola, Violoncello und Violon aber allezeit“ von Schülern gespielt. Nach neueren Forschungsergebnissen von Joshua Rifkin und Andrew Parrott waren die Chorstimmen bei konzertierenden Werken in der Regel ein- bis zweifach besetzt. Bachs eigene Werke wurden vornehmlich von der ersten Kantorei ausgeführt. Das Repertoire der anderen Kantoreien, welche unter der Leitung von Präfekten standen, bestand aus leichteren Kantaten und Motetten anderer Komponisten. Die vierte Chorgruppe beschränkte sich auf einfache Liedsätze. An den Wochentagen wurden die Schüler in je 6 Wochenkantoreien zu 8 Sängern eingeteilt, welche zu den Frühgottesdiensten wechselweise in der Thomas- und Nikolaikirche Motetten in solistischer Vokalbesetzung sangen. Geleitet wurden diese Kantoreien durch Chorpräfekten vom Cembalo aus. Zur Unterstützung des Basses wurde ein Kontrabass hinzugezogen. Auf dem Programm standen in der Regel Chorwerke aus dem Florilegium Portense von Erhard Bodenschatz. Dieses bestand aus vorwiegend achtstimmigen lateinischen Motetten und war in neun Stimmbüchern (mit Generalbassstimme) herausgegeben.


1789 I Singen für Mozart

Zweieinhalb Jahre vor seinem Tod kam Wolfgang Amadeus Mozart Ende April 1789 nach Leipzig. Bei seinem Aufenthalt stattete er auch der Thomaskirche einen Besuch ab, wo er spontan an der Orgel musizierte. Johann Friedrich Doles, zu der Zeit Thomaskantor und an jenem Abend Mozarts Registrant, verglich den Künstler gar mit seinem Lehrer Johann Sebastian Bach und lud ihn in die Thomasschule ein, in der die Thomaner für Mozart Bachs Motette „Singet dem Herrn“ BWV 225 sangen. Der Musikschriftsteller Friedrich Rochlitz berichtet über dieses Ereignis: „Mozart kannte diesen Albrecht Dürer der deutschen Musik mehr vom Hörensagen als aus seinen selten gewordenen Werken“. Mozart ließ sich daraufhin Abschriften der Motetten anfertigen vermerkte handschriftlich „müsste ein ganzes orchestre dazu gesetzt werden.“ In höchsten Tönen lobte der Gast auch die Thomaner: „So einen Chor hat man in Wien, Berlin und Prag nicht.“


1881 I Neues Alumnat

Gegen Ende des 19. Jh. wurde die Thomasschule neben der Thomaskirche abgerissen und der Thomanerchor und die Thomasschule zogen 1881 in die Hillerstraße im heutigen Leipziger Bachviertel um.

Für die damals 60 Sänger bot das neue Alumnat in der Hillerstraße trotz mehrfacher Kürzung der Pläne immer noch weitaus bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen als das alte Alumnat am Thomaskirchhof. Die Wohn- und Schlafstuben waren deutlich geräumiger. Für die Übungsstunden stand visavis im Schulgebäude ein Saal zur Verfügung. Die Kücheneinrichtung entsprach 1881 modernsten Erfordernissen. Sogar an einen Spielplatz war gedacht worden. Zur feierlichen Eröffnung des neuen Domizils erklangen Motetten von Johann Sebastian Bach und Moritz Hauptmann.

Mit dem Umzug verband sich eine Umstukturierung der pädagogischen Dienste. Neue Stellen wurden geschaffen für drei Inspektoren – unverheiratete Lehrer, die abwechselnd jeweils eine Woche lang im Alumnat wohnten. Mehr als 100 Jahre oblag solch einem Trio die pädagogische Aufsicht über die Thomaner.


1888 I Konzertanzug „Kieler Bluse“

Seit der Säkularisierung des Thomanerchors 1543 trugen die nunmehr städtischen Sängerknaben Dreispitz, Perücke und Mantel. Nachdem 1846 der damals fünfjährige Prinz von Wales jedoch in Marineuniform portraitiert wurde, führte dies zum ersten europaweiten Modetrend für Kinderkleidung. Bis 1930 wurde die Matrosenjacke zu einer Art Standard-Schuluniform in ganz Europa – auch bei den Thomanern in Form der „Kieler Bluse“. Kaiser Wilhelm II. kleidete seine Kinder ebenfalls in Marine-Uniform.


ab 1920 I erste Auslandsreisen

Ab den 1920er Jahren unternahm der Thomanerchor erfolgreiche Reisen ins Ausland, die vor allem vom damaligen Thomaskantor Karl Straube initiiert wurden. Die erste Auslandstournee führte die Thomaner nach Schweden, Dänemark und Norwegen.


1924 I Asteroid „Thomana“

Im September 1924 veranstaltete die Astronomische Gesellschaft ihre Jahrestagung in Leipzig – auf dem Programm auch ein Auftritt des Thomanerchores. Die Mitglieder der Astronomischen Gesellschaft waren von der musikalischen Darbietung der Thomaner so begeistert dass sie beschlossen, einen gerade entdeckten Asteroiden auf den Namen „Thomana“ zu taufen. Die Wissenschaftler wählten den Asteroid mit der Kennung 1023 aus, denn er sei den „vom seelischen Feuer innig durchglühten und mit nie gehörter astronomischer Präzision vorgetragenen Gesänge“ würdig.

Der Gesteinsbrocken, der zu Ehren des Thomanerchores im Gürtel zwischen Mars und Jupiter seine Bahnen zieht, ist rund 58 Kilometer groß. Für einen Umlauf um die Sonne braucht er mehr als fünfeinhalb Jahre. Zuletzt sorgte „Thomana“ 2009 für eine astronomische Besonderheit, als er für eine kurze Sternenfinsternis im Wassermann verantwortlich war.

 


1928 I Erste Schallplattenaufnahmen

Die  „Deutsche Grammophon Gesellschaft“ nimmt mit dem Thomanerchor als ersten Knabenchor der deutschen Schallplattengeschichte eine Platte mit kurzen Stücken Johann Sebastian Bachs in der Thomaskirche auf. Zwei weitere Platten mit Stücken von Johann Hermann Schein und Johannes Brahms unter der Leitung von Thomaskantor Karl Straube entstehen 1930 in einem Berliner Tonstudio.


1931 I Bachkantaten im Rundfunk

Thomaskantor Karl Straube begann 1931 mit einer Serie von Rundfunkaufnahmen aller Bachkantaten. Auf vier Jahre war das Projekt angelegt. Technische und organisatorische Schwierigkeiten führten jedoch dazu, dass es zwei weitere Jahre dauerte, ehe das ambitionierte Unternehmen wirklich abgeschlossen war. Die Kantaten wurden wöchentlich am Sonntagmorgen im Rundfunk übertragen und machten den Thomanerchor europaweit bekannt.


1933 – 1945 I Zeit des Nationalsozialismus

1937 wurde der Thomanerchor in die Hitlerjugend eingegliedert. Es gelang Karl Straube und seinem Nachfolger Günther Ramin jedoch, nationalsozialistisches Gedankengut so weit wie möglich vom Chor fernzuhalten, und zwar gerade auch aus dem Repertoire des Chores, indem sich vor allem Ramin schon früh nach seinem Amtsantritt 1939 auf das geistliche Programm des Chors fokussierte. Der 1941 unternommene Versuch, den Thomanerchor im Musischen Gymnasium Leipzig aufgehen zu lassen, scheiterte aus unterschiedlichen Gründen. Die Versuche, die Thomaner nicht mehr in Gottesdiensten und Motetten auftreten zu lassen, konnten größtenteils auch abgewehrt werden. Allerdings fielen die wöchentlichen Dienste in der Nikolaikirche einem Kompromiss von Ramin und den Verantwortlichen der Stadt zum Opfer und der Chor sang in Gottesdiensten nur noch in der Thomaskirche. Gegen Ende des Krieges versuchte Ramin, die zwangsweise Einziehung zur Wehrmacht für die Thomaner so lange wie möglich hinauszuzögern, mit der Begründung, sonst bliebe die Singfähigkeit nicht erhalten. Weiterhin zählt zu den Leistungen dieser beiden Kantoren die starke Neuaufbereitung der Bachpflege, die durch Straube begonnen und von Ramin weitergeführt wurde. Aktuell beschäftigen sich mehrere Forschungsprojekte mit der vielschichtigen Geschichte des Thomanerchores in der Zeit des Nationalsozialismus. Der Chor unterstützt diese wichtige Aufarbeitung der eigenen Geschichte mit eigenen Archivalien und begleitet die Vorhaben.

Der Thomanerchor mit Thomaskantor Karl Straube vor dem Bach-Denkmal, 1939


1943 – 1945 I Exil in der Fürstenschule Grimma

Bei den Bombenangriffen der Alliierten auf Leipzig am 4. Dezember 1943 wurde auch das Alumnat des Thomanerchores in der Hillerstraße stark beschädigt, ein Bombentreffer machte das Bewohnen unmöglich. Bereits am folgenden Tag – am Sonntag, dem 5. Dezember 1943 – kamen Kantor Günther Ramin und der Thomanerchor in Grimma unter: Ausweichquartier wurde das Alumnat der Fürstenschule zu Grimma – letztlich für 18 Monate. Aus Grimma reisten die Thomaner  regelmäßig nach Leipzig zu ihren Motetten-Aufführungen und zu zahlreichen Auftritten vielerorts in Deutschland.


1949 – 1990 I Der Thomanerchor in der DDR

Die Aufarbeitung der Arbeit des Thomanerchores während DDR-Zeit steht noch aus, auch weil viele Akteure im und um den Chor noch Teil des Leipziger Kulturlebens sind. Als städtische Einrichtung hatte der Chor eine Staatsnähe, die kritisch zu bewerten ist. Das Chorleben war geprägt durch die in allen Einrichtungen vorherrschende Überwachung und politische Einflussnahme. Auf künstlerischer Ebene wurden etliche bedeutende Schallplattenaufnahmen realisiert, herausragend v. a. die Aufnahmen der Kantaten Johann Sebastian Bachs unter Hans-Joachim Rotzsch in den 1970er Jahren. Die Tourneetätigkeit ins internationale Ausland wurde manifestiert, so z.B. 1955 die erste Südamerika- und 1975 die erste Japan-Tournee, auf die regelmäßige Einladungen folgten. Thomaskantor Rotzsch trat 1991 zurück, nachdem seine IM-Tätigkeit für die Staatssicherheit bekannt geworden war.


seit 2000 I Gründung forum thomanum e.V.

Die Trias Thomana vereint seit über 800 Jahren die drei kulturgeschichtlich herausragenden Institutionen Thomaskirche, THOMANERCHOR Leipzig und Thomasschule. Trotz vieler gesellschaftlicher Brüche und Veränderungen wird dieses Dreigestirn von seinen ursprünglichen Aufgaben bis heute zusammengehalten und getragen, getreu dem Motto „Glauben – Singen – Lernen“.

Mit dem Umzug der Thomasschule auf die Hillerstraße im Jahr 2000 wurden zwei Institutionen wieder zusammengeführt, die über Jahrhunderte in der alten Thomasschule (heutiges Thomashaus als Teil der alten Schule) eine Einheit bildeten. Daraufhin entstand die Idee, einen Campus „forum thomanum“ in unmittelbarer Nachbarschaft im Leipziger Bachviertel zwischen Hiller-, Schreber-, Käthe-Kollwitz- und Ferdinand-Lassalle-Straße entstehen zu lassen. Der „forum thomanum e.V.“ wurde gegründet. Zum 800-jährigen Jubiläum von Thomaskirche, Thomasschule und Thomanerchor im Jahr 2012 wurde die Idee des Campus eingeweiht und vereint verschiedene Einrichtungen und Gebäude von unterschiedlichen Trägern. Neben dem Alumnat des Thomanerchores und der Thomasschule gehören mittlerweile dazu: die Bbw Kindertagestätte forum thomanum, die 2016 eingeweihte Grundschule forum thomanum mit Hort, die villa thomana, die Musikschule forum thomanum und die Lutherkirche.

Ausführliche Informationen zur Entstehung des forum thomanum e.V. finden Sie unter: https://www.forum-thomanum.de/forum-thomanum-e-v/chronik


2003 I Das fliegende Klassenzimmer

Anfang 2003 startete in den deutschen Kinos die Neuverfilmung des Erich-Kästner-Klassikers „Das fliegende Klassenzimmer“, in der die Thomaner eine wichtige Rolle spielten. Der Regisseur Tomy Wiegand hatte die Geschichte an die Leipziger Thomasschule verlegt und so standen neben Kinderschauspielern auch mehrere Thomaner vor der Kamera.

Im Film wird der Junge Jonathan Trotz nach einer beachtlichen Sammlung von Schulverweisen im Schnelldurchlauf zum Thomaner, und zusammen mit seinen Freunden führte er seinen legendären Schulkrieg nicht gegen Realschüler, sondern gegen „Externe“ – also jene Thomasschüler, die nicht Mitglieder des Knabenchores sind. Was, wie die 800-jährige Geschichte der Thomasschule zeigt, keinesfalls unrealistisch scheint.

Obwohl das „Thomaner-Klassenzimmer“ von den Kritikern zwiespältig aufgenommen wurde, fand der Film jede Menge Zuschauer: Allein in den ersten sechs Wochen sahen mehr als 1,5 Millionen Besucher den Streifen. Sie waren ebenso begeistert wie die Besucher des berühmten Filmfestivals im südfranzösischen Cannes, wo die eigenwillige Kästner-Adaption ebenfalls im Jahr 2003 gezeigt wurde.


2012 I 800 Jahre THOMANERCHOR Leipzig

Mit einer Festwoche feiert der THOMANERCHOR Leipzig 2012 zusammen mit der Thomaskirche und Thomasschule das 800-jährige Bestehen der „Thomana“. Das große Jubiläum wurde vielfältig gefeiert: ein Festakt mit Festumzug, ein Bürgerfest, eine Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum und verschiedene Formate im Bacharchiv sowie und ein knapp zweistündiger Dokumentarfilm der Regisseure Paul Smaczny und Günter Atteln, der auch bundesweit in Kinos zu sehen war, sind als Höhepunkte zu nennen. Zu den Gratulanten für das Jubiläum gehörten auch andere Knabenchöre, wie der Dresdner Kreuzchor, die Regensburger Domspatzen und der Choir of King’s College Cambridge.


2020 I Corona-Zeit

Als am 16.3.2020 die Schließung aller Einrichtungen aufgrund der Coronapandemie beschlossen wurde, kamen die Thomaner gerade von einer Auslandtournee aus Schweden wieder. Das Alumnat wurde in Analagie zur Thomasschule geschlossen. Wenige Tage nach Schließung fand die erste Begehung mit dem Gesundheitsamt der Stadt Leipzig statt, um Möglichkeiten einer Teilöffnung für die Abiturienten, die bereits wieder in die Schule gehen konnten, zu besprechen. In Kooperation mit den Experten verschiedener medizinischer Kliniken entwickelte der Thomanerchor schnell ein Testsystem, mit dem via PCR-Test bereits Mitte Mai 2020 die ersten Auftritte mit wenigen Thomanern in der Thomaskirche realisiert werden konnten. In den folgenden Monaten wurde der Chorbetrieb regelmäßig an die jeweils geltenden Verordnungen angepasst. Moderne Konferenztechnik wurde zum Erhalt einer Probenkultur und des Gemeinschaftssinnes für das tägliche Proben eingesetzt. Die Absage der Teilnahme an den Ostergottesdiensten im Jahr 2020 war ein tiefer Einschnitt und in der langen Chorgeschichte so einmalig. Auch in der Weihnachtszeit 2020 konnte der Thomanerchor nicht in Präsenz auftreten.

Mit viel Kreativität und Bereitschaft zu außergewöhnlichen Modellen des Choralltags – und mit Unterstützung verschiedener Ämter und Behörden – fand der Thomanerchor einen Weg, auch über die Coronazeit hinweg zu bestehen und die lange Tradition fortzusetzen.


seit 2021 I Thomaskantor Andreas Reize

Im Herbst 2021 wurde Andreas Reize vom Leipziger Stadtrat als 18. Thomaskantor nach Johann Sebastian Bach zum musikalischen Leiter des THOMANERCHOR Leipzig berufen. In den Motetten und Gottesdiensten in der Thomaskirche führt Andreas Reize mit dem Thomanerchor und dem Gewandhausorchester wöchentlich eine Bach-Kantate auf. Dabei experimentiert er mit verschiedenen Aufstellungen und Besetzungen nach historischem Vorbild. Zudem ist Reize für die Konzerte und Oratorienaufführungen des Thomanerchores verantwortlich und gastiert mit dem Chor neben der Thomaskirche Leipzig in den Musikzentren weltweit und bei Festivals im In- und Ausland. Im November 2022 leitete Andreas Reize die erste Auslandstournee der Thomaner nach der Corona-Pandemie mit Konzerten in Helsinki und Tampere in Finnland. Hinzu kommen regelmäßige Fernseh-, Runfunk- und CD-Produktionen mit dem THOMANERCHOR Leipzig, wie die der h-Moll-Messe BWV 232 und des Weihnachtsoratoriums BWV 248 von Johann Sebastian Bach im Jahr 2022.

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